ic! berlin im Gespräch mit Martin Bremer – Designer und Denker hinter den Marken der Mercedes-Benz Group
Dieses Jahr erscheint die sechste Kollektion aus der Kollaboration zwischen ic! berlin und Mercedes-Benz / Mercedes-AMG. So unterschiedlich die Marken sein mögen; eines verbindet sie: Materialinnovation und höchste Ansprüche an Qualität und Langlebigkeit. Das Designteam von ic! berlin sprach mit Martin Bremer, Leiter Creation Brand Experience der Mercedes-Benz Group AG über Design in Zeiten von KI, die Rolle der Designer und die Sehnsucht nach Authentizität. Ein spannender Einblick.
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Martin, es freut uns sehr, dass wir wieder hier sind, und dass wir mit Dir über Design sprechen. Eine große Frage zu Beginn: Was bedeutet Design heute eigentlich noch?
Spannende Frage. Ich finde Design wird immer wichtiger, weil es einfach wahrnehmbar ist. Und ich glaube, der Erfolg von vielen Unternehmen liegt eben daran, eine eigene Sprache zu entwickeln, einen eigenen Charakter zu entwickeln, der auch wahrgenommen werden kann. Klar, technische Innovationen, dafür stehen wir auch bei Mercedes, aber speziell das Design ist heute einer der wichtigsten Kaufgründe für ein Produkt. In unserer Branche wie auch in anderen, denke ich.
Und wie hat sich damit die Rolle des Designers verändert?
Das sieht man bei uns sehr schön. Der Designbereich unter der Leitung von Chief Design Officer Gorden Wagener, ist einer der wichtigsten im Konzern. Wir sind die Ersten, die neue Produkte entwickeln, die die formale Strategie mit prägen. In den fünfziger Jahren war die Designabteilung noch eine Unterabteilung. Heute hat das Design eine eigene Direktion, die direkt an den Vorstand berichtet. Das zeigt wie sich die Rolle des Designers von der Wichtigkeit verändert hat.
Wie bist Du denn zu der Rolle des Designers bei Mercedes-Benz gekommen?
Ich habe Transportation Design studiert. Das ist mir ein bisschen ins Blut gelegt worden. Mein Vater war Ingenieur bei Mercedes und ich bin schon mit einem Jahr auf die Test Drives mitgekommen. Und dann gibt es noch diese zweite Komponente. Das ist die Kreativität. Mein Großvater war Pfarrer und Autor, hat viel geschnitzt. Und meine Großtante hatte eine Stickerei in Berlin und kreierte traumhafte Theatervorhänge – das ist vielleicht der Ursprung meiner Begeisterung für Materialität. Nach dem Studium wollte ich die Welt sehen. Und so bewarb ich mich bei der Mazda Motor Corporation, dort bin ich im Color- und Trim-Design gelandet. Das war spannend in eine andere Kultur einzutauchen; der Kontakt mit japanischen Designern und Design-Gruppen hat mich nachhaltig geprägt. Auch nach Japan reisen zu können, eines der inspirierendsten Länder, wenn man mit Materialien zu tun hat. Dieser Reichtum an Kultur, an Handwerksgeschichte. Die Zelebrierung der alten Handwerkskunst. Die Sensibilität für Material und Farbkombinationen. Faszinierend. Auf diese Weise lernte ich Produkten eine Designidentität zu geben.
Revolutionär: Das original schraubenlose Gelenk von ic! berlin
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Was hast Du noch für Dich mitgenommen aus Asien?
Ich habe auch in Korea gearbeitet. Speziell um damals den “europäischen Taste” in deren Designverständnis zu etablieren. Hinsichtlich Farben, Materialien. Aber: Sie haben ja selbst eine wunderbare Geschichte, was Materialien anbelangt! Allein diese Faszination für Papiere. Oder die wunderschönen Leinenstoffe. Ich hatte damals schon die Vision, diesen eigenen kulturellen Kontext reinzubringen. Das habe ich in Japan viel stärker gefunden: Was man in der Designgeschichte, zum Beispiel bei Issey Miyake, Kenzo, Yamamoto, sah. Die haben es geschafft viel von dieser eigenen Sensibilität und der japanischen Designtradition in die Moderne zu überführen. In Korea hatten sie ihre eigene Kultur noch nicht erkannt zu der Zeit. Da etwas Eigenes daraus zu machen, war immer mein Bestreben. Nutzt eure Kultur, um eine eigene Sprache zu entwickeln!
Und wie kamst Du dann nach Sindelfingen?
In den 90er Jahren startete ich bei Mercedes-Benz. Das war eine der tollsten Erfahrungen, die man machen kann, wenn man für die Firma arbeitet, für die man den größten Herzschlag fühlt. Weil es einfach eine Motivation ist. Immer daran weiter zu arbeiten: Was können wir Neues entwickeln? Im Unternehmen habe ich eine rasante Entwicklung gemacht und bin dann komplett verantwortlich gewesen für das Color & Trim Design von Mercedes, Smart und Trucks. Also die ganze Produktpalette vom Kleinsten bis zum Größten, einschließlich Maybach. Dieses globale Denken und das in-Kontakt-Kommen mit so vielen unterschiedlichen Bereichen ist ein großes Faszinosum.
So auch mit einer Manufaktur für Brillen! (lacht) Ich kann mich erinnern, als wir uns vor acht Jahren kennengelernt haben, warst Du offenbar schon länger ic!-Träger gewesen…
Ich war höchst beglückt, als ich erfuhr, es werde eine Kooperation mit Euch geben. Meine erste Brille von ic! berlin hatte ich Ende der 90er Jahre. Die hat mich total fasziniert. Weil es eben nicht nur eine formale Übung ist, sondern ein Konzept dahinter steht. Die Form und Funktion zusammenzubringen, aber aus der Authentizität des Materials heraus zu denken, das ist einfach ein super Ansatz, der mich bis heute prägt. Auch die Langlebigkeit. Denn dann kamen meine Tochter und mein Sohn zur Welt, und dann kriegst du mal eins ins Gesicht. Die Brille fällt von der Nase. Bei der ic! berlin habe ich den Bügel einfach wieder eingesteckt. Fertig.
Bist Du noch von anderen Designströmungen beeinflusst worden?
Was mich immer beeinflusst hat, war das Zusammentreffen mit anderen Menschen, die Kooperation. Zuhören zu können. Das finde ich sehr wichtig. Viele denken immer, man drückt auf einen Knopf und dann kommt irgendwas raus. Ist aber nicht so. Und Italien ist ein Land, für das mein Herz schlägt. Da hatte ich das Glück, Ernesto Gismondi von Artemide kennenzulernen, seine Frau Carlotta de Bevilacqua, und Michele De Lucchi. Das italienische Designbewusstsein, ist eine hervorragende Verbindung von Emotionalität und Innovation – das hat mich ebenfalls stark geprägt. Spannend zu sehen, wie damals im Memphis Design Dinge entstanden sind, die uns zwingen aus gewohnten Bahnen auszubrechen. Aber man braucht beides: Eine klare Identität und den gelegentlichen Ausbruch. Diese Balance spiegelt sich in unserer Design Philosophie der „Sinnlichen Klarheit“ wider, die emotionale und intelligente Aspekte harmonisch vereint.
Welche Herausforderungen siehst Du noch beim Design von neuen Produkten?
Eine Herausforderung ist: Die Menschen sehnen sich nach Authentizität. Ich war mal in den USA, da sagte mir ein Kunde: “Ich liebe meinen Mercedes-Benz, weil er echtes Holz hat.” – er konnte es selbst gar nicht identifizieren. Aber nur diese Nachricht, dass er echtes Holz hat, hat ihn fasziniert. Dadurch war ich motiviert zu sagen, jetzt gehen wir in offenporiges Holz. Ich glaube, dieser Trend wird sich fortsetzen: Innovationen in der Materialwelt. So wie ihr auch Flexarbon entwickelt habt. Und wieder: Das zu übersetzen und einzugliedern, den eigenen Charakter nicht zu verlieren; das ist eine tolle Aufgabe für die Designer der Zukunft.
Die KI ist ein zweischneidiges Schwert. Viele zeitgenössische Designs ermüden mich; es ist “the sea of sameness”. Schwierig, wenn man denkt: Wir haben ja KI, wie wunderbar! Mein ehemaliger Professor sagte: “Wenn Sie nicht selbst die Idee haben, hilft Ihnen kein Mensch weiter.”. Das ist die eigentliche Herausforderung: Nicht auf den Knopf zu drücken, sondern selbst die Idee zu haben. Deswegen muss der Designer eine eigene Sprache kultivieren und diese mutig in die Welt setzen.
Kaltgewalzter Edelstahl. Pures Design ohne Schrauben.
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Und die KI dann eher als Begleiter einsetzen…
Ja genau! Es sind ja wunderbare Tools. Aber diese Komplexität ist wahnsinnig. Ich sehne mich mehr und mehr nach Vereinfachung und nach Reduktion. Und ich glaube, das wird eine Sehnsucht für viele Menschen werden, auch für junge Leute. Das ist die Herausforderung für die nächsten Jahre, darauf einzugehen. Weil: Komplexität können viele, Reduktion können wenige.
Ist das der Schlüssel zu Eurer zeitlosen Eleganz bei Mercedes?
Ja. Eleganz kommt aus der Reduktion und der Proportion. Und die Harmonie, die ist extrem wichtig. Was wir bei Mercedes-Benz oft diskutieren: Die einzelnen Linien zueinander, die Anschlüsse, die Radien – all solche Details, da entscheiden Millimeter.
Finish per Hand in unserer Manufaktur in Berlin
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Das kennen wir nur allzu gut. Im Gesicht zählt jeder Millimeter.
Anna Quentin, Head of Style & Product Design:
Zum Abschluss – welchen Rat würdest Du jungen Designern wie uns mit auf den Weg geben?
Der kulturelle Austausch. Setzt euch mit den Menschen auseinander, die ein Produkt herstellen. Schaut euch die Produktionsprozesse an. Hört auf diejenigen, die mit den Materialien umgehen. Entwickelt Designs und Prototypen auch mit der Hand. Diese Formen haben eine andere Seele. Das kriegt man nicht ausschließlich am Computer hin, man muss sich mit der Materialität beschäftigen. Das wäre mein Rat an jeden jungen Designer und das wird es auch in 100 Jahren sein.
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